Wenn ich durch meine Depression eine Sache lernen konnte, dann (Obacht, Scheinparadox) das glücklich sein!
Man kann das ja ganz offensichtlich verlernen. War mir jetzt auch nicht so bewusst, aber es funktioniert. Erstaunlich gut sogar. Wenn man, wie ich, ein paar Jahre in einem schnuckeligen Sog aus Lethargie und diffuser Selbstverachtung verbringt.
Bevor Therapie und Medikamente wirklich anschlugen – lief ich auf Autopilot. So ein Alltag lässt sich auch ohne innere Zufriedenheit astrein bewältigen, wenn man ihn mechanisiert. Ich sage ganz bewusst nicht strukturiert, denn eher das Gegenteil davon war bei mir der Fall. Mechanisches Leben war für mich etwas Sicheres. Die alltäglichen Wege gehen, die immergleichen Abläufe, stabil wirken, nicht abweichen, funktionieren. Die Depression ließ sich so nicht unbedingt leichter ertragen, es schien mir vielmehr, als hätte sie mein Leben in dieses Flußbett gepresst.
Es lief einen vorgefertigten Weg des geringsten Widerstands. Es geht hier nicht um Ideale oder ähnlich komplexe Geistesgegenstände – sondern schlichtweg um einen ungesunden Hang zur praktischsten Lösung.
„Hier, diese Bettwäsche muss man nicht bügeln.“
„Sie ist häßlich.
„Stimmt, die ist häßlich. Aber man muss sie nicht bügeln. Is doch praktisch.“
So in etwa. Aber irgendwie doch ganz anders. Depression ist der Moment, in dem du aufhörst, zu diskutieren, ob dich irgendetwas glücklich macht. Ob dich etwas glücklich macht – wird als Argument völlig hinfällig. Nicht urplötzlich, aber es schleicht sich ein. Und Stück für Stück schienen mir Dinge, die mich glücklich machten aufwändig. Oder, noch schlimmer: Ich vergaß sie schlichtweg. Ich weiß gar nicht, wie sich so etwas beschreiben ließe. So ein bisschen, wie ich mir Amnesie vorstelle, vielleicht. Und dann läuft dir auf der Straße nach 20 Jahren Fremdenlegion ganz zufällig deine Frau von früher über den Weg und du denkst dir:
„Ja, sicher, stimmt, ich hab ja ne Frau und bin eigentlich Steuerberater. Wie konnte ich das vergessen?“
Genau so ging es mir heute. Ich lief barfuß zum Einkaufen. Und da war es wieder. Meine Füße auf dem Asphalt. Vollkontakt mit dem Leben. Jede einzelne Unebenheit spüren, Verbundenheit mit dem Boden der Tatsachen. Das fühlte sich lebendig an. Dynamisch.
Ich hatte es vergessen. Weil man eben, aus praktischen Gründen, Schuhe anzieht, da draußen.
Die Tatsache, dass es mir eine fast orgiastische Freude bereitet, meinen außerhäusigen Alltag ohne festes Schuhwerk zu meistern – hatte ich schlichtweg verdrängt.
Ebenso die Tatsache, dass ich, jetzt wird es verrückt, es mag, mir dann in der Wohnung, wenn ich am Rechner arbeite, extrem federnde Turnschuhe anzuziehen.
Das verleiht mir eine Vitalität und Freude, kurzum Glück, und ich Depp hatte das völlig aus meinem Bewusstsein gestrichen. Weil ich irgendwann damit aufgehört hatte. Weil es Umstände bereitete.
Wie gutes Essen.
Schonend gegarter Lachs mit Rosmarinkartoffeln und einem Hauch Koriander, dazu etwas gedünsteter Brokkoli mit Zitronenbutter? Ach, ich mach einfach Nudeln. Ohne irgendwas.
Oder Kaffee, zum Beispiel, den genieße ich gern im Bett. Das ist schön – aber auch praktisch. Für mich zumindest. Aber im Wohnzimmer zu sitzen, auf einem ganz bestimmten Sessel, mit den Füßen auf dem Tisch, in der Sonne, dabei die Housemartins „Happy Hour“ durch die Wohnung ballern zu lassen, als gäbe es kein Morgen mehr – das ist nicht nur schön, das ist Glück.
Wenn aber so ein Ritual mit Arbeit verbunden ist, oder auch nur mit Aufwand – fällt es mir immer noch nicht leicht, es regelmäßig zu veranstalten.
Viele dieser Dinge, die uns glücklich machen, die tun wir automatisch, nehmen Umwege gern in Kauf dafür. Meine Depressionen hinderten mich daran. Und ich fürchte, da nicht ganz allein zu sein mit.
Vielleicht ist das das perfideste Detail an so einer Depression. Der Verlust an fucking Lebensqualität, da die auch immer Aufwand bedeutet. So gering er auch sein mag.
Anfangs hatte ich keine Kraft dafür. Dann war mir nicht klar, ob der Aufwand sich lohnte. Dann vergaß ich. Wunderte mich nach einer Zeit nur, warum es mir so beschissen ging.
Und nur durch Zufall entdecke ich regelmäßig Dinge neu, die mir einst so viel Liebe in mein Herz gepumpt haben. Ich habe das lange unterschätzt.
Ich meine, barfuß gehen – das kann doch nicht entscheidend sein, ob man glücklich mit seinem Leben ist, oder? Dieser ganze Kleinscheiß?
Scheinbar schon.