Es ist sehr schwierig für mich, diesen Artikel zu schreiben, da er mehrere heikle Themen berührt. Alkoholsucht ist das eine – Freundschaft das andere.
Seit ich Antidepressiva nehme – trinke ich nicht mehr. Das ist hart. Immer noch.
Scheinbar habe ich ein Alkoholproblem.
Das soll nun kein aufklärender Artikel über die Gefahren des Alkohols sein. Es soll darum gehen, was ich mit Alkohol so angestellt habe, um meine Probleme zu überdecken.
Ich habe immer gerne und viel getrunken. Im Studium lernt man das. Wer da nicht säuft – gehört irgendwie schon fast nicht dazu. Das ist so was schön Geselliges. Man sitzt in der Bar und trinkt Bier um Bier, redet über Dinge, schimpft auf Frauen und Männer, ihr kennt das. Das sind richtig dufte Kumpels, die da mit dir Abend für Abend am Tisch sitzen. Da muss man sich nicht verstellen, die nehmen einen, wie man ist.
Beziehungsweise: Wie man grad nicht bemerkt wird. Betrunken verlieren viele die Möglichkeit, zwischen sich und anderen zu differenzieren, wie mir scheint. In der jeweils eigenen Wahrnehmung – sind alle so wie ich. Oder ich bin, wie mein Gegenüber sich das grad so denkt. Wie man wirklich ist – interessiert ehrlich gesagt keinen, der besoffen ist. Das ist auch okay so. Es ist ein geselliger Rausch. Alle sind wie ich. Wie schön, dieses Gefühl.
Ich habe Alkohol nie bewusst mit dem Ziel getrunken, irgendwas zu beheben oder ähnliches Zeug. Das war vielmehr ein Reflex, nicht gesteuert. Ich konnte viel und schnell trinken. Das verschaffte mir in meiner Jugend etwas, was man damals bestimmt gut mit Ansehen und Respekt verwechseln konnte. Daran änderte ich nichts – weit über mein Studium hinaus. Ich war immer der Tobi, der so schnell trank und gerne mal besoffen war. Dass sich im Suff einige echt hässliche Charaktereigenschaften offenbarten, auf die ich nicht sonderlich stolz bin – naja, is halt so, dachte ich mir, müssen die Leute halt mit leben.
Dass ich ein Problem haben könnte – kam mir nie in den Sinn. Alkoholiker, das waren andere Leute, die sahen anders aus, hatten keine Jobs und tranken schon morgens früh. Ich war immer nur der lustige Tobi, der unter drei Bier nicht auf die Bühne ging – oder ein Gespräch mit Fremden begann. Saufen war aber nie Mittel zum Zweck – das geschah einfach.
Als die ersten Symptome meiner Depression auftauchten – war Alkohol eine wunderschöne Baseline. Besoffen sein war gut. Da fühlte ich mich stark und wichtig und geliebt – oder gehasst. Aber ich fühlte mich nie schwach und bedeutungslos. Nie leer. Nie teilnahmslos. Alles berührte mich.
Alkohol betäubt die Gleichgültigkeit.
Es war immer einfacher, meine Maske zu wahren, wenn ich trank. Auch nach innen. Diese Maske nach innen, die verhindert echt gut, dass man mal über sich selbst nachdenkt. Dass über sich selbst nachdenken voll für Checker ist – hab ich erst später gelernt. Wenn ich trank schien mir mit mir selbst eigentlich alles ganz schön paletti. Warum auch nicht.
Wenn du nicht mitbekommst, ob dir jemand ein Bein stellt – oder ob du über deine eigenen Füße gefallen bist – war es bestimmt jemand anders. Warum sollte man auch selbst hinfallen? Eben.
Und die Maske nach außen – immer gern. Da durfte man auch mal im Suff melancholisch sein, aber meistens überdrehte ich ohnehin nur, und meine fehlfeuernden Synapsen redeten mir und allen um mich herum ganz schön überzeugend ein, dass ich einer von den ganz schön lustigen war. Und: ich hatte einen Grund, vor die Tür zu gehen. Irgendwas zu tun. Fanden alle dufte.
Ich konnte gut mit Menschen reden. Alkohol gaukelte mir Empathie vor, erschuf Möglichkeiten, wo keine waren und zauberte mir Freunde, die mich verstanden.
Es war, als hätte man vor langer Zeit Dinge besprochen, die einen beschäftigten – und bekäme in just diesem Moment das dazu passende Verständnis. Verbundenheit.
Problematisch an der Nummer: Is alles Bullshit.
Du kannst dir Freunde zurechtsaufen, so sieht´s aus.
Du kannst dir Freunde zurechtsaufen, dein Weltbild, dein Selbst, dein Denken.
Das Limit ist der Körper, der irgendwann kollabiert. Aber bis dahin – kannst du ganz schön cool sein. Freunde haben.
Und wenn man dann aufhört, zu trinken – verpufft diese Welt.
Ich stellte fest, dass ich die Leute, die ich meine Freunde nannte – nur in der Kneipe traf.
Und alles, was wir taten – war saufen.
Setz dich einmal ne halbe Stunde neben einen guten Kumpel, der besoffen ist – völlig nüchtern. Versuch, ein Gespräch zu führen. Danach bist du wesentlich schlauer, ob du wirklich einen guten Kumpel hast.
Aber nicht nur das: Fällt der soziale Raum „Kneipe“ ersteinmal weg – ich war erstaunt, wie zeitgleich auch die sozialen Kontakte abstarben. Da war kein „Hallo, wie geht´s dir“ oder „sollen wir was machen“ – da war gar nichts mehr.
Das war bitter – aber wichtig.
Denn: man muss es wissen. Diese Leute deshalb nicht streichen aus dem eigenen Leben, aber sie als das sehen, was sie nunmal sind: Saufbekanntschaften. Und das ist okay so.
Aber als Freunde – enttäuschen einen solche Menschen dann doch recht häufig. Es sei denn, man plant, innerhalb der Kneipe einen Umzug zu veranstalten oder ausschließlich dort einen Todesfall zu betrauern. Dann läuft das natürlich.
Klingt jetzt alles so total nach großer Lebensbeichte mit etwas altkluger Weisheit. Is so vielleicht auch ein wenig gemeint. Machste nix. Ich muss schließlich auch damit leben. Irgendwie.
Hat alles auch eher nur so am Rande mit Depressionen zu tun. Aber ich glaube, der Teil mit den Masken und so – da kann man schon was rausziehen.
Alkohol ist für viele Leute ein Thema – und für mich eben sehr, da da eben etwas in mir herumwirbelt, was sich gezähmt und betäubt viel leichter übersehen und ertragen lässt.
Weil die Stille nach einem Bier etwas so angenehmes hat, ganz anders als die Stille, die sonst mit den Fäusten gegen meine Seele schlägt. Beruhigend, nicht beklemmend.
Und wenn es mehr als ein Bier wird – ist es wenigstens bunt verwaschenes Chaos im Kopf, und nicht dieser Wirbel aus Zweifel und Hass, der mich verwirrt. Alles ist irgendwie gut – oder halt hochdramatisch. Aber wenigstens ist alles irgendwie. Und nicht garnicht.
Und man hat einfach mal für ein paar Stunden das Gefühl, einer von ganz vielen zu sein.
Mittendrin. So richtig. Einfach mal wieder hemmungslos leben.
Unblockiert und farbverliebt.
Ist aber alles nicht echt.
Mann, bin ich froh, nicht mehr zu trinken.