Hach, was geht das wieder schön los. Jetzt gibt es auch ein deutsches Portal, auf welchem sich Menschen dazu bekennen können, in Therapie zu sein. Aber ist das eigentlich gut?
Awareness ist ´ne total dufte Sache. Entstigmatisierung noch viel dufterer. Aber wie schafft man das?
Für manche scheint der Weg darin zu bestehen, Annonymität abzubauen. Kann man machen. Ob das was bringt – ist ein anderes Thema. Ich werde jetzt etwas sehr untypisches tun. Ich werde vor etwas warnen.
Wer mit seiner Erkrankung nach außen tritt – hat Folgen zu tragen.
Das ist keine weinerliche Anschuldigung gegen die Gesellschaft – sondern als ganz ernsthafter Ratschlag an alle „Outingbereiten“ zu verstehen. Warum? Darum:
Das Internet verleitet uns, Dinge vielleicht etwas vorschnell zu tun. Zu äußern. Zum Beispiel auch das Bekenntnis zur Depression. Ist ja auch leichter, schnell ein Bild von sich hochzuladen, Name drunter, ich hab Depressionen, lalala, deal with it, Internet. Alles schön schnell vorbei. Und man muss nicht allen einzeln sagen, dass man ne geistige Erkrankung hat. Das macht die Sache so wunderbar einfach und verführerisch.
Ein Bekenntnis im Internet ist die Postwurfsendung der Betroffenheit.
„Seht her, wie mutig ich bin, ich habe mich im Internet geoutet.“
„Ja, toll“, denke ich mir da, „wenn das der letzte Schritt ist – kann man machen. Wenn´s allerdings der Erste ist…dann bist du, mit Verlaub, ein Depp.“
Ein ganz ernsthaftes Outing hat weitreichende Konsequenzen. Diesen Konsequenzen kann man begegnen – aber im eigenen Tempo. Sprechen wir mal von mir. Ich habe nicht damit angefangen, im Internet drüber zu bloggen. Mein „Outing“ war keine Kurzschlussreaktion, keine Angstreaktion, kein Nichts. Es war der nächste logische Schritt.
Ich hatte mein Leben und meine Erkrankung so weit klar, dass ich mich bereit fühlte, mich den Herausforderungen zu stellen, die sich ergeben, wenn man eben nicht mehr nur selbst betroffen ist, sondern auch der ganze Rest. Partner, Familie, Freunde. Es braucht, zu einem Stück, Mut zur Verantwortung, offen mit einer Depression umzugehen. Zumindest sehe ich das so. Man leidet nicht allein. Es beeinflusst leider auch die Menschen um mich herum.
Als ich mich dazu im Stande sah, die ersten Schritt zu gehen, erste Reaktionen abzufangen, abzukönnen, habe ich mit ersten Menschen darüber gesprochen. Freunde. Das kann ja voll nach hinten losgehen, da muss man sich im klaren drüber sein. Ging´s bei mir zum Glück nicht. Weil ich geile Freunde habe, die das mit dem Äquivalent eines liebevollen Schulterzuckens zur Kenntnis nahmen.
Dann hat es gearbeitet in mir. Familie. Wie sagt man das der Familie? Und warum? Haben die nicht schon genug Sorgen? Die müssen mich ja lieben – was, wenn sie dann garnicht mehr wollen? Solchen Scheiß eben. Und es hat gedauert. Es hat wirklich gedauert bis ich einerseits den Mut aufbrachte, meinen Eltern zu „gestehen“, zu „beichten“, dass ich an einer Depression erkrankt bin und was das alles heißt, und bis ich andererseits bereit war, auch die sich daraus ergebenden Konsequenzen zu tragen. Einerseits die Konsequenzen für mich, da sich Angehörige in der ersten Zeit irgendwie genetisch bedingt immer genau so verhalten, wie man das selbst grad nun wirklich nicht braucht, sprich: sich „sorgen“, und zwar verbal und vehement, andererseits aber eben auch die Konsequenzen für andere: Gedanken und Sorgen, die ich nur bedingt nehmen kann, ein verzweifeltes Suchen nach dem „was haben wir falsch gemacht“, schlaflose Nächte, Ratschläge, die dann in fast blutigen Auseinandersetzungen mit mir endeten, dieser ganze Scheiß.
Kurzfassung: Es geht nicht nur um dich. Es geht um alle, die dich lieben.
Als ich mich bereit fühlte, das alles zu stemmen, das hinzubekommen – habe ich mich geöffnet. Natürlich kann man sich öffnen, auch wenn man das nicht hinbekommen wird, einfach nur, weil es einem Scheiße geht und man die Liebe der Familie braucht – ganz klar. Darauf will ich aber nicht hinaus. Das ist ein ganz valider Weg. Ich versuche nur eine Art „Reihenfolge“ festzulegen, in welcher so ein outing für mich am meisten Sinn ergibt.
Nach Freunden und Familie stand für mich das nächste große Ding an, und dafür habe ich auch nochmal eine ganze, ganze, ganze Weile gebraucht. Der Job.
Dort bekam ich am meisten Gegenwind – und am meisten Anerkennung aus unerwarteten Ecken. Definitiv der schwierigste Schritt. Denn: Jeder Job hat seine Fallhöhe.
Ich mache was mit Humor und Bühne, Kleinkunst. Was für Sorgen hatte ich, nur noch als der „traurige“ angesehen zu werden.
„Oh, der hat Depressionen. Der tritt bei uns nicht auf, das macht doch nur die Stimmung kaputt.“
Gut, war nicht so. Eher im Gegenteil, und dafür bin ich meinen Kollegen sehr dankbar. Hätte aber so sein können. Wie in jedem anderen Job. Ganz klar.
Bin ich bereit, niemals wieder so gesehen zu werden wie zuvor?
Das is so ne Frage, die man sich vor dem Outing im Job, aber auch im Privatleben, durchaus mal stellen kann. Mich persönlich hat´s weiter gebracht. Aber vielleicht liegt´s an der Branche. Die ist ein wenig verrückt.
So. Machen wir hier mal einen Punkt.
Das alles habe ich getan, bevor ich mich mit diesem Blog nach außen gewendet habe, an das Internet, die Menschen, die mich gern auf der Bühne sehen, den Rest der Gesellschaft.
Hinzu kommt – dass ich ohnehin in der Öffentlichkeit stehe und der Schritt zu dieser Offenbarung letztlich nicht mehr so riesig war.
Aber was macht der Rest?
Was geschieht, wenn ein Mensch all diese Punkte, Freunde, Familie, Job – einfach überspringt, sein Bild ins Internet stellt, mit seinem Namen und Alter – und so seinem ganzen Umfeld nicht nur gebündelt, sondern auch noch schrecklich annonym und unpersönlich mitteilt, dass er oder sie eine ganz schön persönliche Krankheit hat?
Ist man bereit dafür, alle auf einen zurollenden Konsequenzen aus Freundschaft, Familie und Job auf einmal zu tragen?
Wäre es nicht vielleicht einfacher, Stück für Stück vorwärts zu gehen?
Ich würde meine Hand jetzt mal ganz orakelig ins Feuer legen dafür, dass jeder Chef von eurer Depression sehr viel lieber persönlich erführe – als durch das Internet. Vielleicht bin ich da aber oldschool.
So. Ja. Das sind meine Gedanken dazu.
Ich finde es wichtig, dazu zu stehen. Aber eben nur, wenn man es kann. Wenn man so weit ist. Das Outing ist kein Teil der Therapie. Es ist eine Konsequenz – die man ziehen kann.
Aber niemals muss.
Wer sich nicht in der Lage fühlt, seine Erkrankung aufgrund von Stigmen persönlich zu offenbaren – für den sollte vielleicht auch das Internet keine Lösung sein.
Wer allerdings das gröbste schon hinter sich hat – Freunde, Familie, vielleicht sogar den Beruf – und dann immer noch das Bedürfnis verspürt, stolz dazu zu stehen, trotz Depression ein ganz normaler Mensch zu sein – dann haut rein. Um Himmelswillen, haut rein. Postet es im Internet, wenn ihr meint, damit etwas Gutes zu tun.
Steht dazu – wenn ihr es nicht für euch selbst tut, sondern für andere.
Der Rest von euch – darf sich gern so viel Zeit lassen, wie er braucht.