Niemand bringt sich gerne um, lese ich auf einem pastellfarbenen Flyer.

Was für ein beschissener Slogan, habe ich die ersten zwei, drei Tage gedacht, nachdem dieser Flyer in mein Leben stolperte.
Was für ein beschissener Slogan, als wäre Suizid ne Sache, die man ungern tut, die aber nunmal „gemacht werden müsse“.
Inzwischen bin ich ein bisschen schlauer.

Ich bin nicht nur schlauer als vorher – ich habe mir auch einfach mal eine Meinung dazu gegönnt.
Eine sehr, sehr subjektive Meinung – zu einem sehr, sehr persönlichem Thema, dem eigenen Ableben. Welches bei ner Krankheit wie Depression leider dann doch präsenter ist, als man das vielleicht möchte. Als ich das möchte.

Suizid ist eines dieser Themen, bei denen ich nie weiß, wo ich anfangen und aufhören soll. Schwieriges Thema. Um wen geht´s da eigentlich?
Die Suizidanten? Die sind ja eigentlich tot. Um die, die ihn in Betracht ziehen? Um die Angehörigen? Um uns alle?

Um wen es geht – lässt sich nicht sagen. Feststellen und aufräumen mit einem beliebten Klischee lässt sich allerdings:

Suizid ist keine feige Lösung. Er ist eine Verzweiflungstat. Und es heißt Suizid. Nicht Selbstmord.

Das Wort Mord impliziert immer, dass einem etwas gewalttätiges gegen den eigenen Willen angetan wird. Etwas, gegen das man sich nicht wehren konnte.
Hier tut man Suizidanten und Suizidgefährdeten unrecht. Sie tun sich nichts gegen den eigenen Willen an, sie erreicht ein wesentlich perfideres Schicksal: Sie haben den Lebenswillen verloren, gegen den man ihnen etwas antun könnte. Sie haben die Kraft verloren, sich überhaupt wehren zu wollen.

Das sorgt von außen oft für Unverständnis. Gerade bei nach außen hin erfolgreichen und vermeintlich glücklichen Menschen.
„Wie kann so einer sich umbringen wollen? Der hat doch alles. Das ist doch voll bescheuert.“
Bestes Beispiel: Robin Williams. Wie oft habe ich das in den vergangenen Wochen lesen müssen.

Was für ein verrückter Idiot der doch sei. Wenn man selbst all diese Millionen und den Erfolg hätte, da würde man sich aber garantiert nicht umbringen, der Typ hätte bestimmt den Hals nicht vollbekommen können, arrogantes Arschloch, das.

Ich weiß nicht. Will ich solchen Menschen einfach direkt eins in die Fresse hauen, oder sie vielleicht vorher auf ihre Ignoranz hinweisen?

Dem Mann fehlte eine ganz entscheidende Fähigkeit: Das Leben zu spüren.
Wir vergessen gern und häufig, dass das eine Befähigung ist, die nicht jedem gegönnt wird. Und im Prinzip ist es gut, dass wir dies vergessen. Dass wir es nicht mit uns rumschleppen, dieses Wissen „Uh, da gibt es Menschen, die berührt das alles nicht“ – wäre ja nicht auszuhalten, so ein Wissen, jeden Tag.

Ich nehme seit einiger Zeit neue Medikamente, um meiner Depression Herr zu werden. Eine der vielen Nebenwirkungen, wie bei vielen Antidepressiva, sind unter anderem eventuell auftretende Suizidgedanken. Auch bei mir.
Ich habe Sekundenbruchteile in Gedanken verbracht, die nicht meine eigenen waren. Die alles so furchtbar, furchtbar trivial und hoffnungsfrei schienen ließen. Die mir einen vermeintlich klaren Blick gewährten auf alles, was grad scheiße ist, und magisch verdeckten, was das Leben so lebenswert macht.

Das waren die finstersten und bedrückensten Sekundenbruchteile meines Lebens.

Nicht der aktive Wunsch, sterben zu wollen. Schlichtweg eine Art negativer Gelassenheit jeglicher Konsequenz meines eigenen Daseins gegenüber. Man mag es auch „Was zum Teufel soll das alles hier?“ nennen. Das waren, zu meinem Glück, nur Bruchteile von Momenten. Und sie waren erschreckend. Ich mag mir nicht ausmalen, wie es sein muss, solche Gedanken die eigenen nennen zu müssen, ohne sie auf Medikamente schieben zu können, sondern lediglich auf diese diffuse Krankheit „Depression“ oder etwas in der Art.

Womit ich mich allerdings sehr gut auskenne – ist Parasuizid. Darf man jetzt nicht verwechseln mit „Suizidversuch“ – ich spreche hier von etwas wie „Suizid auf Raten“ – ein billigendes Inkaufnehmen jeglicher negativer Konsequenzen durch Leichtsinn, Drogen und anderes selbstverletztendes Verhalten.
Keine Ahnung, wie´s bei euch ist – bei mir gehörte das definitiv dazu.

Betäuben, um jeden Preis betäuben, dass da etwas nicht stimmt, und lebendig fühlen, bloß richtig lebendig, damit da nichts tot in mir rumliegt und mir auffallen könnte.

So unzählige Abende habe ich damit verbracht, mich systematisch aus der Realität zu katapultieren, da sie mir unterschwellig nicht ertragbar schien – ich könnte sie nicht mehr zählen heute.

Und diesen Zustand in etwas ganz, ganz bewusstes übersetzt, in eine trostlose, von Hoffnung befreite Gegenwartsdystopie, das waren diese Sekundenbruchteile, vor denen ich mich immer noch fürchte.

Was hilft?

Keine Ahnung. Mir half der bewusste Gedanke, dass das alles nicht echt ist. Nur ein Symptom. Ein eingepflanzter Gedanke, ein fremdgebautes Konstrukt, implantiert in meinen Kopf. Mir half, mich selbst zu umarmen, lieb zu haben. Andere, die Gleiches mit mir taten.
Kein materielles Gut der Welt. Nur Liebe und die Hoffnung, das gemeinsam mit mir selbst durchzustehen, mit anderen an meiner Seite.
Mit anderen, die ich vielleicht erst auf dem Weg finden würde. Oder schon gefunden hatte.

Niemand bringt sich gerne um.
Da ist was dran. Aber man kann an den Punkt kommen, an dem einem das wirklich völlig egal ist. Da helfen keine Apelle.
Nur Liebe. Echte Zuneigung, Liebe, Hoffnung.
Also liebt euch. Und andere. Gebt dem verwirrten Mann auf der Straße mal n Euro statt 10 Cent oder garnichts. Vielleicht ist es genau das, was er braucht, um den Glauben an sein Leben nicht zu verlieren.

Liebe hilft so viel mehr, wenn man nicht danach fragen muss.

Wenn ihr Fragen habt – oder Suizidgedanken verspürt – sprecht mit jemandem darüber. Ist keine Schande. Macht der Depp im Internet (das bin ich) ja auch.
Hier gibt es ein paar Infos und Anlaufstellen. Auch wenn das alles groß und einschüchternd wirken kann – ihr seid nicht allein damit.

Hilfe bietet die Telefonseelsorge. Sie ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr unter 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222 erreichbar. Auch eine Beratung über E-Mail ist möglich. https://www.ts-im-internet.de/

Eine Liste mit bundesweiten Hilfsstellen findet sich auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.

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