Da mein letzter Eintrag dann doch für einige Nachfragen sorgte – dachte ich mir: Wer kann das eigentlich besser erklären, als die coole Sau, von der ich sprach. Also bat ich sie, einen Eintrag zum Thema „Leben mit einem Menschen mit Depressionen“ zu verfassen.
„Ey, Luise, hasse nich Bock ma was darüber zu schreiben, wie das so is?“
„Wie was so is?“
„Das mit mir, so. Weißte?“
„Ja, sicha, Diggi. Ich schließ mich ma kurz zu Hause ein und gehe voll hart mit mir selbst ins Gericht.“
„Nice!“
Hier ist das Ergebnis:
Ich führe eine Beziehung mit einem humorvollen, zärtlichen, klugen, erwachsenen, aufregenden, im Leben stehenden und Sicherheit spendenden Mann. So ganz nebenbei hat er auch noch Depressionen.
Kennt man ja. Volkskrankheit. Trauerkloß. Nimmt sich nur zu wichtig. Soll mal von seinem Egotrip runterkommen. Das Leben ist doch schön, auch wenn’s mal nicht so läuft. Sieht man halt durch die Wolken nicht. Bin selbst nicht unbeschadet, krieg das aber trotzdem irgendwie hin. Kann er halt nicht so, versteh ich schon. Nervt mich aber trotzdem irgendwie, weil ich’s dann doch nicht so richtig verstehe und mich jetzt hier mal voll einschränkt fühle in meiner Lebensqualität. Bin ja selbst manchmal traurig, aber so was kann doch jetzt echt nicht so schlimm sein. Erstmal aufstehen, dann läuft das schon. Find die Party auch nicht so geil, die Leute anstrengend, aber ey, dass ist doch jetzt kein Grund, dass die Welt untergeht. Gehen wir halt einfach. Ist doch wieder gut. Ich wollte auch nicht mehr bleiben. Echt jetzt! Kannst jetzt wieder fröhlich sein. Nicht aus einer Mücke ’nen Elefanten machen. Nein nein, ich mach dir wirklich keine Vorwürfe. Ich bin froh, dass wir jetzt gegangen sind. Zu Hause rumlungern und knuddeln find ich jetzt eh viel schöner. Neeeein, du musst auch nicht eifersüchtig sein. Du bist der schönste Mensch, den ich kenne. Es ist auch nicht schlimm, dass die Medikamente deine Lust auf Sex vermindern. Das ist halt so. Kann ich mit umgehen. Ist schon schade. Für dich und für mich. Aber ich liebe dich ja nicht dafür, sondern weil du der tollste Mensch bist, der mir je begegnet ist. Sicher ist das kompliziert und manchmal auch frustrierend, aber du musst mir das jetzt einfach glauben. Du bist schön und liebenswert! Du bist der Wahnsinn und bereicherst mein Leben unglaublich. Ich fühle mich sicher bei dir, weil wir uns beide lieben und das auch verdient haben, du und ich. Alles andere sind nur Bagatellen. Du bist gut genug für mich und ich für dich. Wir müssen keine Angst haben. Ich versteh das schon und ich verstehe dich.
So in etwa lief das in meinem Kopf ab. Die Weisheit mit Löffeln gefressen. So „richtig ehrlich“ verständnisvoll. So verständnisvoll, wie der Mensch mit Behinderungen umgeht, wenn er nicht als diskriminierend gelten möchte. So weit der Verstand etwas zulässt, was einen nicht zwangsläufig auf sich selbst zurückwirft, wenn man es wirklich verstehen will um miteinander leben zu können. Man kann sich in eine Depression nicht reinversetzen, genausowenig wie man sich nicht in eine Querschnittslähmung reinversetzen kann. Ich könnte mir die Hälfte meines Körpers einzementieren und mich dann mal ein paar Stunden durch die Stadt rollen lassen, aber was dieses Leben wirklich bedeutet, wird mir verborgen bleiben. Trotzdem ist das alles Realität. Und wie ich mit einer kranken Realität umgehen sollte, die mir selbst Angst macht und mich verunsichert, überforderte mich unglaublich. Angst davor, dass das „ansteckend“ ist. Angst davor, nicht helfen zu können. Angst, dass die eigenen Bedürfnisse nicht erfüllt werden. Dass man nicht geliebt wird, dass man selbst untergeht in der Krankheit des anderen und nicht zuletzt das schlechte Gewissen, weil man dann doch nur an sich selbst denkt. Und so Banane das jetzt klingen mag, aber meine einzige Möglichkeit war eine neue Definition des Begriffes Verständnis.
Wenn die Deutsche Bahn mich um Verständnis bittet, dass ich 3 Stunden im Schneesturm auf meinen Zug warten muss, funktioniert das nicht. Verständnis verlangt mehr als resigniertes Hinnehmen, weil man es eh nicht ändern kann und ja irgendwie auch irgendwas will, es also hinnehmen muss. Außerdem fordert in diesem Fall auch nur eine in zusammengestückelten Silben brabbelnde Stimme aus einem Lautsprecher, dass ich sie verstehe. Das macht irgendwann sauer und führt dazu, dass man lieber Bus fährt. Verständnis einer Krankheit gegenüber besteht für mich aus einer riesen Menge an Empathie, die sich in Partnerschaften und Familien häufig als Liebe äußert, die man aber auch in gewissem Maße jemandem entgegenbringen kann, den man nicht unbedingt liebt, der aber durch die pure Existenz als Mensch ein Recht darauf hat, ihm grundsätzlich wohlgesonnen zu begegnen. Außerdem braucht Verständnis Fantasie in Form von Vorstellungskraft und Aufgeschlossenheit und nicht zuletzt Wissen und, so esoterisch das auch klingen mag, Demut und Humor. Für mich darf da nichts fehlen.
Erstaunlich, dass die Deutsche Bahn sich wundervoll als Vergleichsobjekt für Depressionen eignet.
„Meine Damen und Herren, der ICE von Dortmund nach Hamburg hat aktuell eine Verspätung von 180 Minuten. Wir bitten um Ihr Verständnis.“
Verzögerung aus unerfindlichen Gründen – ein klarer Fall von Depression. Wenn ich die Bahn jetzt verstehen will, weil ich gerne mit ihr zusammen auf die Reise gehen und einen Teil meines Lebens mit ihr verbringe möchte, also im Endeffekt irgendwas will, müsste ich folgendes tun: empathisch mit den Lebewesen sein, die dahinter stecken, da ich gerne der Überzeugung verfalle, dass der Mensch einem grundsätzlich nichts Böses will. Dazu gehört die hier gemeinte Demut, dass einige Dinge sich eben nicht ändern lassen und das Leben manchmal echt verrückte Sachen macht. In diesem Fall ein Schneesturm, für den weder ich, noch die Bahn was kann. Ich könnte das jetzt persönlich nehmen, mach ich aber nicht, weil’s bescheuert wäre. Direkt hieran schließt sich die Fantasie an. Ich war zwar meines Wissen noch nie ein Zug, kann mir aber durchaus vorstellen, dass so ein Schneesturm schon mal dazu führen kann, dass mir die Maschinen einfrieren, oder die Fußballfans auf den Gleisen ausgerutscht sind. Außerdem wäre es durchaus möglich, dass der Lokführer dank Glatteis im Stau steht, weil er so doof war, bei dem Wetter nicht die Bahn zu nehmen, oder dass vorrausfahrende Züge einen ganz schön ausbremsen können. Auch möglich, dass verrückte Grubenleute den kompletten Ruhrpott unterwandert haben und bei Eis und Schnee die Einsturzgefahr so riesig ist, dass Züge berechtigterweise nur langsam drüber fahren können. Klingt verrückt, kann aber passieren.
Hätte auch keiner gedacht, dass wir irgendwann mal Vanilleeis frittieren.
Soweit, sogut. Was nun noch fehlt – und dass scheint sowohl für die Bahn, als auch für einen Menschen mit Depressionen ein echt schwer knackbare Nuss zu sein – ist Wissen. Wissen über die Natur einer Krankheit und Wissen, das einem nur der Kranke vermitteln kann. Nichts ist schlimmer, als Unwissenheit. Sagt mir die Stimme aus dem Lautsprecher, dass das jetzt eben so ist und bittet mich um Verständnis, kann ich nur mit den Schultern zucken und die Bahn kacke finden. Wie soll ich was verstehen, was ich nicht weiß? Würde die sexy Stimme auf dem Gleis sagen:
„Das ist jetzt echt blöd, unsere Züge sind irgendwie kaputt, die können mit Schneestürmen nicht so gut. Ab ’ner gewissen Temperatur gefriert uns immer wieder der Sprit im Tank. Wir arbeiten echt dran, dass das irgendwann mal nicht mehr passiert, aber im Moment stehen wir irgendwo im Nirgendwo vor Bochum und warten auf den zündenden Funken, damit wir wieder vorwärts kommen und hoffen, dass uns nicht der Boden unter den Gleisen wegbricht, weil der Zug echt sauschwer ist zur Zeit. Wenn Sie Fragen haben, dann fragen Sie. Vielleicht können wir Ihnen nicht alles sagen, weil wir es selbst nicht wissen, aber zumindest können wir’s versuchen.“ , das wäre mal ’ne Ansage.
Da könnte man sein Smartphone zücken und „Sprit für Züge“ googlen. Unwissenheit beseitigen. Warum können Züge manchmal nicht mehr fahren, wenn Unbeeinflussbares sie trifft? Gibt’s sicher tausende Einträge zu. Und dann kannste immer noch fragen, wenn noch was unklar ist. Für alles, was man nicht wissen kann, gibt’s dann wieder die Demut. Unwissenheit ist in diesem Fall sowas wie der gemeinsame Feind und man steht auf der selben Seite. Und wenn ich die Frau am Infoschalter nicht genervt anbrülle, antwortet sie mir bestimmt, weil der Mensch auf Empathie immer mit Empathie reagiert und sich nicht verschließt, wenn er sich sicher fühlt.
Ja, ich vergleiche meinen Liebsten gerne mit einem Zug. Das weiß er aber zum Glück nicht. Ist vielleicht auch besser so, denn eine Maschine ist er beim besten Willen nicht. Er ist sogar ziemlich menschlich, und manchmal gefriert ihm eben das Blut in den Adern, wenn ein Schneesturm vorbeizieht, weil kleptomanische Krankheiten besonders gerne dicke Felle klauen. Weil ich ihn aber liebe, wärme ich ihn gerne. Und wenn er dann wieder auftaut, muss ich gar nicht mehr fragen, weil er keine Angst haben muss, dass ich ihn nicht verstehe. Und was ich nicht verstehen kann, macht Humor erträglich. Menschen mit Depressionen reden erstaunlich gerne über ihre Krankheit, wenn man sie nur lässt. Solche win win Situationen sind selten im Leben. Verrückt! Wir dürsten nach Wissen, wenn es unser Leben mit sofortiger Wirkung erleichtert, aber scheuen uns davor, den Horizont auch mal in düstere Gefilde zu erweitern, weil dass Wissen darum erst nach wirklichem Verständnis und Arbeit den Schrecken verliert und etwas Wertvolles offenbart. Nämlich, dass man mit einem Menschen leben und glücklich sein kann, auch wenn er eine Krankheit hat. Um einen letzten Bahn-Vergleich zu wagen:
Freifahrtsscheine gibt’s dann aber trotzdem nicht.
Dass ein Mensch trotz Depression gelegentlich ein Idiot sein kann, ist so wahr, wie die Zugverspätungen, die schlicht von idiotischen Logistikern bei der Bahn verursacht werden. Die Gradwanderung, das – aus Angst, nicht sauer auf einen Kranken sein zu dürfen – zu trennen, ist wohl der schwierigste Spagat, den man machen muss und er gelingt mir auch nicht immer. Vielleicht kommt es hierbei darauf an, die Depression auf beiden Seiten in’s Leben zu integrieren. Sie ist eben da, aber keine Rechtfertigung für alles. Und auch hier muss die Bahn noch lernen genau wie es ein Depressiver muss. Fehler einräumen und keinen künstlichen Schneesturm erschaffen. Das geht wohl auch hier wieder nur mit beiderseitigem Wohlwollen und Fairness.
Ich habe Tobi in einem tiefen Loch kennengelernt und erstaunt beobachten können, wie er sich da rauswühlt. Langsam und sicher niemals endend, aber mit dem Willen, dort nicht bleiben zu wollen. Das macht mich stolz. Dass das Loch trotzdem da ist, ist ok. Wir frittieren ja auch Eis. Gibt solche Sachen eben und vielleicht hilft meine Leichtigkeit auch, nicht wieder so tief reinzufallen. Außerdem habe ich ihn nie als kranken Menschen wahrgenommen und trotzdem gewusst, dass er krank ist. Das schließt sich nicht aus. Die Depression ist wie der Schneesturm. Unter dem Eis ist da dieser wundervolle Mensch und ich kann ihn immer sehen, weil ich das Eis durchschaue. Ich kann mir niemals anmaßen, unser funktionierendes Miteinander auf andere übertragen zu wollen, denn die Depression sieht jedes Mal anders aus. Aber vielleicht kann es Zuversicht spenden, dass es trotz Schwere, Sorgen, Angst, Verunsicherung und dem eigenen, verlorenen Gefühl doch nur eine Krankheit ist und nicht das Wesen des Menschen, was da gefriert.