Ich habe Besuch. Meine Depression sitzt im Wohnzimmer und hat irgendwie die ganze Couch für sich beansprucht. „Noch etwas Kaffee?“ frage ich also höflich, da man ja nett sein soll zu Gästen, aber die Depression schaut mich nur mitleidig an und schüttelt den Kopf.

Toll, denke ich, solche Hausgäste sind ja immer total bombe. Reinschneien, nix können (außer nerven), aber auch nich gehen. So wird das nix. Bitte verpiss dich. Ich hab nur nette Leute in meiner Bude, Leute, mit denen ich was anfangen kann.

Anfangs ist die Depression wie jemand, der in meinem Freundeskreis als „die Nazi-Käsefrau“ bekannt ist. Die war, nach einer langen Nacht, irgendwie zu unserer engen Gruppe dazu gestoßen, und wir saßen in meinem Wohnzimmer, morgens um 5, und nahmen noch ein letztes Bier zu uns. Keiner kannte die Dame, wie uns später auffiel. Aber jeder dachte, die würde schon zu irgendwem gehören. Sie verbalisierte Hunger, ich sprach von etwas Käse im Kühlschrank, und dass sie sich bedienen könne. Irgendwie stand sie dann Sekunden später mit einem 400 Gramm Klotz Käse in meinem Wohnzimmer – und verspeiste ihn. Komplett. Dass sie dazu nur gequirlten Unfug unfasslichen Ausmaßes von sich gab – vervollständigt das Bild.
Kurzum: Sie war unhöflich – und unfreundlich – und bremste durch ihre Unfähigkeit, generell produktive Gedankengänge zu haben oder diese zu äußern dann doch erheblich die Dynamik des frühen Morgens.
Als sie dann einen Telefonanruf mit den Worten „Heil Hitler“ annahm, auf die schiefen Blicke nur erwiderte, das sei „doch auch nur son Spruch, man sage das so im Spaß“ – schmiss ich sie aus meiner Wohnung.

Was Nazi-Käsefrau und Depressionen nun grundlegend unterscheidet, ist die Tatsache, dass ich Depressionen nicht rauswerfen kann. Depressionen sind sozusagen ein Teil meiner Clique, den ich nicht sonderlich mag, auf dessen Anwesenheit ich keinen gesteigerten Wert lege – der aber irgendwie dennoch bei mir rumhängt und erstmal prinzipiell gegen ALLES ist.

Jeder Pädagoge wird dir sagen, dass so jemand Gift für ne Gruppendynamik ist.
Aber: hängste fest mit.
Was machste da im normalen Leben, hab ich mich also gefragt, nachdem mir dieses Bild schlüssiger und schlüssiger vorkam? Richtig:

Du musst dich scheinbar mit deiner Depression anfreunden.

Wenn ich etwas partout nicht loswerden kann, wenn es unumstößlich in mein Leben integriert ist, muss ich das Beste daraus machen. Es scheint mir viel einfacher, nicht dauernd gegen ein Arschloch im erweiterten Freundeskreis kämpfen und mich darüber aufregen zu müssen, sondern stattdessen zu versuchen, irgendwo ne gemeinsame Basis zu finden.

Vielleicht stehen wir beide ja auf Brettspiele.

Dieses unangenehme Warten zu zweit auf den dritten, mit dem man sich eigentlich treffen will. Da kann man dann, bevor man sich nur anschweigt und sich gegenseitig das Gefühl vermittelt, nicht wirklich was miteinander anfangen zu können – einfach über Brettspiele reden. Was jetzt nicht für jeden das spannendste Thema ist – aber meist besser als Schweigen.

Und genau so versuche ich das auch grad. Ich versuche herauszufinden, was meine Depression eigentlich will. Hinter der ganzen Fassade der Antriebslosigkeit und den Zweifeln an mir. Was soll das bezwecken?

Meine Depression und ich sind Freunde fürs Leben. Ob wir wollen – oder nicht.

Also gehe ich Kompromisse ein. Wir gehen Kompromisse ein. Wie man das in einer guten Freundschaft eben so tut. Ich gehe mit Depression im Wald spazieren, auch wenn mir das im ersten Impuls jetzt nicht so nach idealer Freizeitgestaltung scheint – dafür lässt mich Depression auch mal n paar Stunden am Schreibtisch sitzen und tippen. Manchmal treffen wir uns auch in der Mitte und legen stundenlag beschissen animierte Aliens am PC um. Das gefällt uns beiden, und irgendwie isses n ganz cooler Kompromiss, so ab und an. Bevor man jetzt nebeneinander sitzt und schweigt, meine ich.

Meist will Depression aber was mit mir allein unternehmen. Die Machtverhältnisse unserer Freundschaft sind noch arg unausgewogen. Da werde ich weiter dran arbeiten müssen.
Aber: Ich hab ja noch ne Menge Zeit. In etwa mein ganzes Leben, würde ich sagen.
Früher – wär aber echt auch okay.

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