Mein größter Feind bin ich selbst.
Klingt erstmal ganz schön pathetisch, so übertrieben hart und fast schon künstlich aufgebauscht, damit es irgendwie nach Sensation klingt. Aber es gibt wenig Wege, das anders auszudrücken. Nur zu sagen, dass ich mir selbst im Weg stünde- wäre eine ganz schön ulkige Untertreibung. Ich sitze neben mir und halte mich auf.

Es geht, irrwitziger weise, garnicht darum, mich vor mir selbst zu antagonisieren. Oder wie auch immer das in dieser Sprache heißt, die ich manchmal so gern bemühe, um mit mir selbst nicht klar verständlich reden zu müssen.

Ich tue mir selbst nicht gut. Im Gegenzug bin ich nicht gut zu mir.

Manchmal habe ich das Gefühl, zwei Menschen zu sein. Einer, der ist, und einer, der das bewertet. Hat also nix mit multiplen Persönlichkeiten zu tun. Das ist beides ich. Aber verschiedene Teile. Kann man sich vorstellen wie zwei Menschen, die im Auto sitzen. Einer fährt, der andere ist mit dem Lesen der Karte völlig unterfordert und verwendet die restliche Energie darauf, dem Fahrer irgendwas ins Ohr zu brüllen, ohne darauf zu achten, wie der eigentlich fährt.

„DU BIST ZU SCHNELL!“
„Hier ist 70. Ich fahr 70.“
„DU BIST ZU SCHNELL! IN ORTSCHAFTEN DARF MAN NUR 50!“
„Hier ist keine Ortschaft. Hier ist 70.“
„DU BIST ZU SCHNELL! UND DUMM!“
„Willst du fahren? Ehrlich, wäre kein Problem, wenn du dich dann sicherer fühlst.“
„DU BIST ZU SCHNELL!“

Ungefähr so. Manchmal sitzt noch wer auf dem Rücksitz und sagt uns beiden, dass wir uns vertragen sollen, aber meist vergessen wir den Typen immer an irgendeinem Rastplatz. Was schade ist.

Heute zum Beispiel bin ich krank. Und hasse mich dafür.

So richtig ganz ernsthaft hassen. Das ist ein hartes Wort, aber es trifft. Ich liege mit Mittelohrentzündung im Bett. Aber natürlich, sagt mein Beifahrer, liegt das daran, dass ich so ein Arschloch bin. Oder ich bin genau deswegen ein Arschloch, das es nicht verdient hat, geliebt zu werden. Er kann das zwar nicht begründen, aber er schreit so laut, dass ich ihm das glauben muss, so ich nicht abgelenkt vor einen Baum fahren will. Und so gebe ich mir ständig Verantwortung für Dinge, die ich nicht zu verantworten habe. Aber natürlich nur für Dinge, die schiefgehen.

Erfolge sind Zufall. Scheitern ist verursacht.

Ganz einfache Rechnung in meinem Kopf. Und deshalb bin ich mein Feind. Nicht, weil ich mir im Weg stünde. Sondern weil ich mich dafür verantwortlich mache, wenn mir etwas im Weg steht. Und jede Kleinigkeit so hinbiege, dass ich am Ende Schuld habe. Ich bin so fest davon überzeugt, mir selbst nichts Gutes zu wollen, weil ich mir selbst nichts Gutes wollen darf. Jeden Tag diese Auto-Dialoge. Rund um die Uhr. Alles in meinem Leben ist ein Indikator dafür, dass ich schlecht bin. Den Vorwurf, sehr mit mir selbst beschäftigt zu sein, den muss ich ohne Zweifel gelten lassen. Weil ich ständig auf mich selbst einrede. Meine Gedanken kreisen dann unaufhörlich um alle Dinge, die ich vermeintlich verbocke.

Und erst langsam lerne ich, mit meinem Beifahrer in einem Ton zu sprechen, der zu ihm durchdringt. Es hilft nicht, auf Fakten zu verweisen. Nicht bei meinem Beifahrer, der so von seinem Gefühl dominiert wird, dass ihn Tatsachen nicht erreichen.
„Ich darf hier 70 fahren“ – das hilft nicht. Denn er fühlt sich unsicher, zu schnell, und im Recht. Seine Antwort darauf, wenn wir mal im Bild bleiben wollen, wäre irgendwas mit „Deine Mutter darf hier 70 fahren. Du bist n Arschloch.“ (Der Beifahrer ist nicht sehr kreativ, was Beleidigungen angeht.)
Ich habe lange gebraucht, um herauszufinden, wie ich meinen Beifahrer erreichen kann.
„Es ist dir zu schnell, oder? Komm, ich pfeif mal auf die Tempovorgabe und fahre n bisschen langsamer.“
„Deine Mutter pfeift auf die Tempovorgabe…du…ach Mist.“

Kann natürlich sein, dass man dann irgendwann zum stehen kommt. Aber dann kann man sich zum Beifahrer umdrehen und sagen „Das haben wir jetzt davon. Coole Nummer.“
Aber meist wird mein Beifahrer vorher schon ganz leise. Ich gehe einen Schritt auf ihn zu, sage, dass ich ihn verstehe und gehört habe. Dass ich gewillt bin, seine Sichtweise mit in mein Handeln einzubeziehen. Oder zumindest darüber zu diskutieren.
Ich habe lange gebraucht, um herauszufinden, wie man sich selbst wirklich zuhört. Darauf achtet, was einem Angst macht, was einen sich scheiße finden lässt, was mich in diese tiefen Gewässer runterzieht, aus denen so schwer aufzutauchen ist.

Manche Dialoge kann ich im Kopf führen. Andere muss ich tatsächlich aufschreiben, um mir wirklich zuhören zu können. Und wenn ich zuhöre, dann wird diese Stimme, die mir sagt, dass ich selbst das größte Arschloch auf dieser Welt sei, dass ich es nicht verdient hätte, auch nur in Ansätzen glücklich zu sein, diese Stimme wird dann etwas leiser, weil ich sie nach dem ganz konkreten Grund frage.

Und wie jeder Schulschläger ohne wirklich gute Argumente steht sie dann auf einmal dusselig da auf dem Schulhof und kann nix sagen, weil auf einmal nicht mehr alle Finger auf mich zeigen und im Chor gerufen wird, sondern weil jetzt alle dieses Arschloch von Schulschläger, den beschissenen Beifahrer, anschauen und ihn darum bitten, seine gewagten Thesen meines Arschlochseins doch bitte mal mit Fakten zu untermauern.

Und meist ist es dann, dass diesem Schulschläger was ganz einfaches fehlt. Ein Eis im Sonnenuntergang, oder eine aufgeräumte Wohnung, oder ein bisschen Zeit zum Kindsein.
Aber da er etwas asozial ist – kann er das nicht so einfach sagen. Er muss immer gleich schreien und prügeln. Mein prügelnder Schulhofschlägerbeifahrer, der eigentlich ne ziemliche Wurst ist.

Aber er wird ganz ruhig und fast liebenswert, wenn man ihn dann in den Arm nimmt und fragt, was er denn nun eigentlich genau will. Wenn man mal kurz anhält und sagt „Was willst du eigentlich wirklich von mir?“
Und dann, dann muss man nur noch das Radio der eigenen Gedanken etwas leiser drehen und versuchen, sich selbst zuzuhören.

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