Ich habe Angst vor Weihnachten. Jedes Jahr. Fest der Liebe, und so.
Aber warum ist eine Zeit, in der sich alle lieben sollen so furchtbar für mich?
Weil ich ein miesepetriges Arschloch bin? Das wäre eine schöne Erklärung. Stimmt aber leider mal so garnicht.
Familie, Liebe, Geschenke. Sekt. Essen. Noch mehr Familie. Reisen. Baum. Musik. Andacht. Kannste mich mit jagen. Nicht, weil ich das alles scheiße finde. Ganz im Gegenteil. Ich finde das großartig, dieses Zusammentreffen von Menschen und die Liebe und all den Kram. Also, theoretisch.
Praktisch bedeutet Weihnachten für mich den Belastungstest meines Selbstwertes.
Allein für alle Menschen ein Geschenk zu besorgen war in den vergangenen Jahren ein echtes Problem für mich. Überfordert mich einfach, so eine Aufgabe. Da ist zu viel zu bedenken, gerade in der was-wenn-der-das-doof-findet-der-findet-das-bestimmt-total-doof Geschenkkategorie. Und dann muss man raus, vor die Tür, und das Geschenk suchen. Jagen, fast.
Manchmal habe ich das Gefühl, Dinge wie Amazon wären für Menschen wie mich erfunden worden. Schenken ohne jede menschliche Interaktion. Das ist als Gedanke für jemand mit sozialphobischen Tendenzen wie mich eine ganz schön wunderbare Idee. Leider aber macht mir da mein Anspruch einen Strich durch die Rechnung. Der des normal-sein-wollens. Ganz schlimme Kiste. Und raus kommt am Ende dann so ein hart mutierter Mischling aus Amazon-Geschenk mit computergeschriebener Grußkarte, dafür persönlich überreicht.
Oder aber, ich schaffe das alles schlicht nicht und stehe dann Heiligabend ohne Geschenk da.
Das sind die schlimmen Momente. In denen wenig ist mit Fest der Liebe, da ich dann so sauer auf mich selbst bin, so genervt von mir und meiner Unfähigkeit, meinen Alltag zu bewältigen, dass ich mich am liebsten eingraben und nie wieder an die Oberfläche kommen wollen würde.
Ich habe Angst vor den Verpflichtungen, die dieses Liebe-zeigen mit sich bringt.
Das ist zu viel, von allen Seiten.
Da wird mir zu viel Liebe und Aufmerksamkeit gegeben, die ich garnicht verdient habe.
Da wird zu viel Liebe und Aufmerksamkeit von mir gefordert, dass es mich überfordert.
Da ist zu viel Harmonie überall, ob echt oder gespielt, dass ich mir unzureichend vorkomme mit diesem weißgewischten Innenleben von mir. Zu viel Gefühl, kann man fast sagen.
Zu viel Erwartung an Gefühl.
Zu viel Erinnerung und Nostalgie.
Ist natürlich alles haarsträubender Unsinn, aber man denkt sich das ja gern so zurecht, wenn es darum geht, wie man sich denn vielleicht noch selbst scheiße finden könnte. Hat man alles nicht verdient, kann man alles nicht geben, und das ist dann furchtbar, furchtbar tragisch und schlimm und überhaupt ganz und gar undankbar und was einem sonst noch so alles einfallen mag an Un-Worten, die die eigene Unzulänglichkeit farbenfroh illustrieren sollen.
Ich finde Weihnachten nicht furchtbar. Nur den Anspruch daran.
Fest der Liebe. Man MUSS bei seiner liebenden Familie sein.
Man MUSS doch wenigstens einmal im Jahr dieses und jenes.
Was für ein Schwachsinn.
Ich MUSS erstmal garnix. Ich kann, wenn ich möchte.
Niemand MUSS an Weihnachten irgendwas.
Wenn ich Weihnachten nicht bei meiner Familie bin – werde ich deswegen nicht weniger geliebt.
Wenn ich Weihnachten niemanden an meiner Seite habe – sagt das nichts über mich aus.
Zum Fest der Liebe braucht es niemanden von außen.
Auch nicht am verschissenen Valentinstag, by the way.
Wer sich allein fühlt an diesen Tagen: Es gibt immer EINEN Menschen, der für euch da sein kann. Der euch etwas GUTES tun kann, und das seid ihr selbst.
Bei sich selbst bleiben scheint die Zauberformel zu sein.
Kocht euch etwas gutes. Bleibt liegen oder spaziert durch den Regen, malt Landschaften oder dreht den versifften Punkrock in der Anlage auf 10. Seid lieb zu euch. Ihr dürft das. Erlaube ich hiermit ausdrücklich.
Und wenn gerade niemand anderes da ist – so what?
Sagt das irgendetwas über euch?
Nein.
Fühlt euch geliebt!
Und frohes Fest. Gern auch „allein“.
Denn „allein“ – bedeutet nicht „einsam“.