„Mein Psychiater hat die Dosis verdoppelt“, sage ich.
Und meine Freundin fragt:
„Bist du im neuen Jahr etwa noch verrückter geworden?“
Ein Lachanfall, und für 10 Minuten funktioniert ansonsten nichts mehr.
Es stört mich nicht sonderlich, verrückt zu sein. Also, klar, ne Depression haben ist…nunja, scheiße, ohne Frage. Aber es ist wohl, wie bei allen Dingen im Leben, einfach ne Frage der Betrachtungsweise. Ich meine, klar, ich könnte jederzeit und überall meine Depression mit mir rumschleppen. Mitschleppen. Immer dabei haben. Aber so eine Depression wiegt ne ganze Menge, und außerdem ist die mal echt sperrig. Und scheiße lackiert. Da willste dich doch nicht mit in die U-Bahn stellen. Da eckt man ja nur an.
Verrückt sein – ist etwas sehr normales.
Ich habe irgendwann für mich beschlossen, meine Krankheit nicht mehr so zu behandeln, wie sie von Außenstehenden behandelt wird. Mit übermäßigem Respekt. Mit Abstand. Und Mitleid. Hab ich keinen Bock mehr drauf gehabt. Mein Bruder hat mich auf den Gedanken gebracht. Ich erzähle das gerne auf der Bühne, und so muss es wirken wie ein Witz, aber es stimmt nunmal. In den Nachwehen seiner Chemotherapie (ja, alles gut gelaufen…also, für ne Chemo, meine ich) – postete mein Bruder, der ein großer Fan des guten Kochens ist, auf einer Facebookseite, die sich eigentlich nur mit guter Küche auseinandersetzt, einen Kommentar zu einer Frage.
„Kennt jemand eine wirklich gute Diät?“
„Chemotherapie“, schrieb mein Bruder.
„Hab ich 40 Kilo mit abgenommen.“
Das ist ein Witz – um den ich ihn beneide. Allerdings beneide ich ihn nicht um die Prämisse, ihn machen zu dürfen. Denn dafür sollte man eine verschissene Chemo hinter sich haben.
Worum ich ihn damals noch beneidete – war sein Weg, mit diesem riesigen Einschnitt in sein Leben umzugehen.
Irgendwann ist es Zeit, die ernsten Dinge nicht mehr ganz so ernst zu nehmen.
Das war so ziemlich der Zeitpunkt, an dem ich, das Jubelkonfetti immer noch in den Haaren, begann, meine Depression mit Humor betrachten zu wollen. Mit Abstand.
Aber nicht mehr mit Angst und Wut und Selbstmitleid.
Ich wollte nicht mehr zulassen, dass mich diese Krankheit besitzt. Ich wollte sie besitzen. Und das funktioniert erstaunlich gut, wenn man mit Humor an so ´ne Sache rangeht.
Ich schrieb eine Bühnennummer über meine Depression. Und lachte gemeinsam mit den Leuten über meine Unfähigkeit, mein Leben auf die Kette zu bekommen. Das war befreiend. Weil es ein kleiner Abschied von Angst und Selbstmitleid war, und in beidem hätte ich davor ganz gut ertrinken können.
Klar könnte meine Freundin auf die Sache mit der doppelten Dosis auch folgendes antworten:Humor ist Akzeptanz, Humor ist Konfrontation und Analyse. Zumindest für mich. Und ich spreche nicht davon, sich in Witzchen zu flüchten. Ich spreche davon, das durchaus komische sehen zu wollen. Es als einen Teil von sich betrachten, nicht als Schicksal. Und „verrückt sein“ – das ist ein Teil davon. Es ist ein Besitzen. Das ist ein Wort, das ICH gewählt habe, und wenn ich mir und anderen erlaube, mich so zu nennen – dann erlaube ich mir und anderen mich zu meinen Konditionen zu sehen – und nicht zu denen der Depression.
„Ist die Depression im neuen Jahr schlimmer geworden?“
Macht sie aber nicht. Weil ich beschlossen und erlaubt habe, das ganze mit etwas weniger ernst zu betrachten. Ernstnehmen – muss man eine Depression. Immer.
Aber ob man sie ernst betrachtet, als etwas ganz ganz schlimmes, oder eben mit dieser kleinen Portion Abstand: diesem liebevollen Blick auf einen vielleicht nicht so ganz perfekten Teil von sich, mit dem man auch seinen über Weihnachten etwas gewachsenen Bauch betrachtet, die etwas zu grauen Haare, alles eigentlich, zu dem man sagt „Naja, bin halt ich. Aber ist schon okay so“ – das ist eine Entscheidung, die sich zu treffen lohnt.
Und die braucht Zeit. Akzeptanz.
Sich lieb haben. Auch mit Depression. Das ist für mich „verrückt sein“.
Bildnachweis: (c) Christine Reinert