Perfektes Wetter, freier Tag, wundervoller Job, ´n bisschen stressig vielleicht, aber cool, wundervoll coole Sau an meiner Seite – und ich liege auf meinem Bett und starre die Wand an, weil all das keine Spuren hinterlässt in mir. Da schwingt nichts. Ich finde all diese Dinge nicht langweilig oder unwichtig. Ich habe schlichtweg keine Gefühle dazu.
„Wie geht´s dir?“ fragt diese coole Sau neben mir, diese Frau, an die ich jeden Tag erneut mein Herz verliere. „Dir geht´s nicht gut, oder?“
Ich schweige eine Zeit und überlege. Wir sind ja alle daran gewöhnt, irgendeine Art von Gefühl zu Dingen zu haben. So sehr, wir nehmen das eigentlich nicht wahr, aber wir fühlen uns den lieben langen Tag. Mal gut, mal schlecht, mal irgendwie. Ich bin so sehr daran gewöhnt, dass mir überhaupt nicht in den Sinn kommen mag, in dieser Ecke nachzusehen wenn ich merke, dass da irgendetwas nicht stimmt in mir. Deshalb kommt diese Erkenntnis auch nicht wahnsinnig plötzlich, sondern schrittweise. Das ist ein wiederkehrendes Merkmal meiner Depression. Gefühlstaubheit. Mir geht es…nicht.
Ich fühle nichts.
Darf man jetzt bitte nicht verwechseln mit so wunderschönen Sätzen, die man einander gern mal vor den Latz ballert um sich zu trennen. Sätze wie „Ich fühle nichts mehr für dich.“
Natürlich fühlt man noch was. Vielleicht jetzt nicht unbedingt Liebe. Aber vielleicht ist man ja sogar traurig, dass man die Person nicht mehr liebt. Oder froh darüber. Ich bin nichts von alledem, obwohl ich die wundervolle Frau neben mir sowas von liebe. Da gehst du kaputt dran, so sehr.
Aber das ist in diesem Moment nicht da. Ich bin nicht da.
Ich weiß, dass mir die freie Zeit gut tut. Ich weiß, dass ich die coole Sau liebe. Ich weiß, dass ich auf dem Bett rumlungern und dabei Dokumentationen über Massenmörder schauen ungemein genieße. Aber ich merke von all dem nichts.
Vielleicht ist es besser zu erklären, wenn man sich vorstellt, dass ich bestimmt immer noch fühle. Also, die Gefühle sind da. Aber sie kommen nicht an. Bin blind dafür. Taub. Die Verbindung zwischen den Gefühlen und mir, die ist gekappt für den Moment. Ich bin die Glühbirne, die nicht brennt. Und da doktert ein Mann im blauen Overall an mir herum und sagt fachmännisch „also Strom is da, da kann´s jetzt nich dran liegen.“
Leer ist das. Viel Platz für Echos.
Mir ist all das auch nicht egal, das wird ja gern mal verwechselt. Mich kümmert sehr, was um mich herum geschieht. Aber es ist…naja, Stummfilm. Unterwasser. Ich sehe die Leute auf der Leinwand reden, und ich kann mir vorstellen, was sie sagen und wie ihre Stimmen wohl klingen mögen – aber tatsächlich hören: is nich.
Zu abstrakt? Okay. Dann sind wir eben mal kurz blind. Neben uns in einer Galerie steht ein Typ und erzittert vor stiller Verzauberung. Van-Gogh´s Sternennacht funkelt da in all seiner Schönheit vor sich hin und der Mensch neben ihnen ist, völlig zu recht, absolut ergriffen. Vielleicht ist es sogar das Original. Was weiß ich. Da hängt eines der größten Kunstwerke aller Zeiten, und es vibriert und pulst und lebt Schönheit in jeder Sekunde.
Wir aber sind leider blind und kriegen das nicht mit. Auftritt: der sehr ergriffene Mensch neben uns.
„Das ist so…naja, blau. Und alles ist in so komischen schnörkeligen Linien gemalt. Nee. Nich schnörkelig. Anders. Ganz komisch, so, also so rundlich. Die Sterne jetzt, nicht die Kirche, oder was das da ist. Die ist da so links im Bild, aber vor allem Himmel, und der sieht aus wie Wasser und die Sterne scheinen da fast drin zu schwimmen. Ja, so in etwa. Es ist wunderschön.“
Nach so einer Beschreibung können wir uns ungefähr vorstellen, was der Mensch meinen könnte. Wir könnten das Bild in Erzählungen erkennen. Könnten vielleicht selbst was dazu sagen. Aber es wird uns nie berühren.
Weil wir die Sache faktisch kennen. Aber nie erfahren haben.
Unvorstellbar, eigentlich, dass sowas mit Gefühlen gehen soll. Geht aber.
Und so stapft die Liebe, die immer noch da ist und nie fort war, über den gefrorenen Schlamm der mein Herz gerade ist. Ich kann sie sehen. Aber Spuren – zieht sie nicht.
Und so liege ich da, manchmal Stunden, manchmal mehr als das. Ganz langsam taut es dann irgendwann in mir. Und dann weiß ich nicht nur, dass ich diese Frau da neben mir liebe.
Ich spüre das auch wieder.
Ist das in Ansätzen nachvollziehbar?
Gut.
Und jetzt stellen wir uns das einfach mal mit allen Gefühlen vor.
Vielleicht wird dadurch der Unterschied begreiflich zwischen Depression – und „auch mal deprimiert“ sein.