Lieber Joachim Herrmann, lieber Innenminsiter des Freistaates Bayern,
ich werde ganz besonders langsam schreiben, da ich möchte, dass Sie jedes Wort dieses Textes verstehen. Jedes. Wirklich jedes.
Sie halten ein „Berufsverbot für Menschen mit Depressionen„ für „denkbar“. Was soll mir da als Pointe noch einfallen?
Allenfalls ließe sich diese Aussage in Relation setzen zu anderen Äußerungen ihrerseits.
2009 haben Sie zum Beispiel folgendes von sich gegeben:
„Killerspiele widersprechen dem Wertekonsens unserer auf einem friedlichen Miteinander beruhenden Gesellschaft und gehören geächtet. In ihren schädlichen Auswirkungen stehen sie auf einer Stufe mit Drogen und Kinderpornografie, deren Verbot zu Recht niemand in Frage stellt.“
Daher nun meine Frage: Wer „Killerspiele“ (über die Verwendung dieses unsäglichen Terminus müssen wir hier nicht einmal diskutieren) auf eine Stufe mit Kinderpornographie stellt und ein paar Jahre später ein Berufsverbot für erkrankte Menschen zur Option stellt – darf so jemand Innenminister sein?
Ich meine, nach ihren eigenen Maßstäben jetzt? Haben Sie die in dieser Frage enthaltene Spitze verstanden? Gut.
Kurze Feststellung: Sie haben Angst.
Angst vor Dingen, die Sie nicht verstehen. Killerspiele, zum Beispiel. Oder eben Depressionen. Das ist völlig okay. Nicht unbedingt erwachsen, aber okay. Darf man sich von so einer Angst, gerade als politische Figur, aber auch leiten lassen?
Ehrlich gesagt: Nein.
Genug Polemik. Wo fangen wir an? Über Judensterne zu schreiben – das wäre zu einfach, zu billig. Daher werde ich dieses Thema nicht anschneiden. Nicht einmal erwähnen werde ich das. So ich mit der vollständigen Streichung des Wortes „Judenstern“ aus diesem Text nicht erfolgreich gewesen sein sollte – bitte ich um Verzeihung. Meine Depression lässt mich Dinge tun. Warum hält mich nur niemand auf?
Aber nun wirklich genug davon. Versuchen wir es mal sachlich.
Sie stellen ein Berufsverbot für erkrankte Menschen in den Raum. Das gibt es, z.B., für Menschen mit HIV nicht. Auch nicht für Menschen ohne Beine. Oder für Menschen von der Bundeswehr. Die haben ja auch das Töten trainiert. Da ist das aber alles nicht so das Problem.
Menschen mit Depressionen aber – also einer Krankheit, die ohnehin schon so unfassbar stigmatisiert ist – die wollen Sie ernsthaft in eine Position drängen, in der sie mit dem Ende ihrer beruflichen Laufbahn rechnen müssen, sobald sie sich zu ihrer Krankheit bekennen?
Sie wollen also, nur um das mal ganz kurz und knapp auszudrücken, eine berufliche (und somit auch soziale) Ächtung als Hürde vor eine mögliche Behandlung stellen?
Witzig.
Die Germanwings-Tragödie – das ist so unbeschreiblich, ich denke, da müssen wir alle nicht drüber reden.
Nur über die Konsequenzen, darüber schon. Ist es wirklich schlau, Menschen mit einer Depression in die Geheimhaltung ihrer Krankheit zu drängen, so dass sie keine ärztliche Behandlung anstreben? Wenn Depressive tatsächlich eine Gefährdung für sich und andere darstellten – wäre genau das dann vielleicht nicht der so ziemlich falscheste Weg, der einem überhaupt einfallen könnte?
Wäre nicht mehr Offenheit, mehr Verständnis für diese Krankheit, eine differenziertere Position und Betrachtung der intelligentere Weg, der produktivere Weg?
Zum Abschluss: Wenn es zu diesem Berufsverbot tatsächlich kommen sollte…
Ich bin Schriftsteller. Von Beruf. Und depressiv. Was machen wir da jetzt? Ich meine, mit meinen Ideen und Texten kann ich potentiell eine gehörige Masse an Menschen erreichen. Ist das gefährlich? Vielleicht kann ich das aus meiner eigenen, depressionsverzerrten Sicht nicht so recht beurteilen. Sagen Sie es mir. Sollte man mir Berufsverbot erteilen – weil ich Depressionen habe?
Beste Grüße,
ihr Tobi Katze